Hildegard Schaefer

Biographie

Hildegard Schaefer wurde 1949 in Lauenburg geboren und lebt seit 1954 in Buchholz / Nordheide

Seit 2003 istsie Mitglied bei den Freien Deutschen Autoren, vorher und jetzt ist sie Teilnehmer in verschiedenen regionalen Schreibgruppen, hält Lesungen, gibt Workshops und ist mit Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien vertreten.

Hildegard ist Mitglied in unserem Förderverein Computerbildung, Senioren Computertraining e.V.

ACHTUNG:

Alle 4 Wochen eine neue Geschichte

© Hildegard Schaefer 15.05.2023

Eine renitente Oma

 

Da waren sie wieder.

Riesige Scheinwerferaugen tauchten die wohltuende Dunkelheit des Schlafraumes in ein grelles Licht. „Geh’ doch in dein anderes Zimmer“, hatte der Sohn ihr vorgeschlagen, „da strahlen die Scheinwerfer nicht so in dein Fenster.“ Seit die Hecke entfernt wurde, fehlte der Schutz. Stattdessen war dort ein Parkplatz für drei Autos, deren Front sie tagsüber betrachten konnte.

„Warum hast Du die Hecke weggemacht“, fragte sie.

Als das Haus gebaut wurde, hatte sie jede einzelne Pflanze selbst eingegraben. Um das Grau der Strasse nicht zu sehen, sagte sie zu ihrem Mann. Doch in Wirklichkeit wollte sie morgens auf eine grünbunte Wand blicken, das Grau des Lebens übermalen. Lärmschutz, Sichtschutz war nicht das Argument, denn Autos fuhren nur wenige.

Zu jeder Jahreszeit schaute sie ein anderes Bild: Hainbuche, Kirschlorbeer, Berberitze, Mahonie und viele andere waren gepflanzt und machten das Pflanzengewusel zu einem bunten Durcheinander. Vögel nisteten in diesem Dickicht, fanden Schutz vor Räubern jeder Art. Besonders im Frühling genoss sie das Sprießen der Gehölze, das sich mit dem grellen Gelb der Forsythie mischte.

„Die Hecke muss weg“, sagte damals der Sohn zu ihr. Nach dem Tod des Vaters zog er mit Partnerin in sein Elternhaus. „Meine Frau hat ein Gewerbe angemeldet und nun müssen wir für Parkplätze sorgen. Ihre Kunden können schließlich nicht immer auf dem Kneipenparkplatz gegenüber parken, und an der Straße ist Parkverbot.“

Auf der anderen Straßenseite wurde eine Gaststätte gebaut und bei größeren Feiern war es manchmal laut, wenn die angetrunkenen Gäste grölend auf die Strasse traten. Doch die Hecke schützte sie vor diesen Leuten. Nun war sie umgehauen worden.

Der neue Parkplatz wurde zu ihrem Leidwesen nicht nur von den Kunden ihrer Schwiegertochter genutzt, sondern auch von den Gästen des Lokals. Der Sohn brachte ein Schild an, dass unberechtigt parkende Fahrzeuge auf eigene Kosten abgeschleppt würden, doch das half nur wenig. Wenn der Parkplatz beim Lokal voll war, wurde auf ihrem Grundstück geparkt und sie hatte die Scheinwerfer im Schlafzimmer.

Natürlich wollte sie dieses Zimmer, in dem sie so viele Nächte mit ihrem Mann verbracht hatte, in dem Ihr Sohn gezeugt und geboren wurde, nicht einfach aufgeben – wegen so ein paar Autos. Doch die Scheinwerfer begannen sie zunehmend zu stören. ‚Gleiches mit gleichem heilen’. Sie erinnerte sich daran, dass das ihr Heilpraktiker sagte und sie besorgte sich zwei große Bauscheinwerfer. Das nächste Mal, als zwei grelle Augen in ihr Zimmer blickten, schlug sie zurück. Die gleißende Helle ihrer Scheinwerfer blendete die Falschparker und sie hörte ein lautes Fluchen. Dann entfernten sich die Autos. Doch der Frieden währte nicht lange. Schon bald wurde wieder vor ihrem Fenster geparkt und niemand störte sich daran, dass sie zurückleuchtete.

Eines Nachts, als der Parkplatz des Lokals völlig überfüllt war, parkten wieder zwei Fahrzeuge dort und ließen die Scheinwerfer brennen. Niemand stieg aus. Ihr Zimmer war in taghelles Licht getaucht. Sie schaltete ihr eigenes Scheinwerferlicht an und strahlte zurück. Lautes Grölen und Drohrufe waren zu hören und dann fiel klirrend ein Stein in ihr Fenster. Und noch einer. Sie waren gut gezielt, denn die beiden Bauscheinwerfer zersplitterten mit einem infernalischen Krach. Da packte sie die Wut. Sie nahm die Steine, verließ schnell das Haus und unterband das Gelächter der beiden Fahrer und anderer Gäste, indem sie drohend die Steine hob.

„Was willst du denn, Oma, verschwinde gefälligst, oder ich mach dir Beine“, torkelte ein Betrunkener zwischen den Autos auf sie zu. Sie zerschmetterte die Scheinwerfer des nächst stehenden Mercedes mit einem Wurf. Die Männer starrten die empörte Person in dem weißen Nachthemd entgeistert an. Ihr Sohn trat notdürftig bekleidet auf die Straße und stoppte seine Mutter, als sie den nächsten Stein auf einen BMW werfen wollte. „Was ist denn in dich gefahren“, schrie er sie an. Bislang hatte er die nächtliche Parkproblematik nicht ernst genommen, doch nun musste etwas geschehen. Die frustrierten Autofahrer sahen notgedrungen von einer Anzeige ab.

Ihr Sohn stellte dann sofort einen Flechtzaun als Sichtschutz auf. Sie strich ihn grün und pflanzte davor Wilden Wein, Jelängerjelieber, Kletterhortensien und eine kleine Forsythie. Mit sehr viel Begeisterung war sie bei dieser Arbeit, es erinnerte sie an ihre frühere Heckenbepflanzung und sie freute sich wieder auf eine blühende, grünbunte Wand.

Es parkte kein Auto mehr vor ihrem Fenster. Es war ruhig und still. Nur noch die Kunden ihrer Schwiegertochter stellten tagsüber ihre Fahrzeuge ab. In der Nacht wurde sie nicht mehr belästigt.

Die Pflanzen waren noch sehr klein Sie malte dann zwei gelbe Sonnen dort auf das Holz, wo sonst die Scheinwerfer in ihr Zimmer brannten. Nichts aufregendes passierte mehr. Ihr Sohn ließ das wirksame kleine Graffiti an der Außenseite des Flechtzaunes stehen, das wohl jemand nachts aufgesprüht hatte: „Vorsicht, renitente Oma“.